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CRISPR: Eingriff in die Keimbahn

Foto: OHSU

Umstrittener Versuch Forscher befreien menschliche Embryonen von Erbkrankheit

Dürfen Forscher das Erbgut von Menschen über Generationen hinweg verändern? Ein erfolgreiches Experiment aus den USA zeigt: Schon bald könnte das möglich sein. Ethiker sind alarmiert.

Manchmal reicht ein winziger Fehler im Erbgut, um Menschen ein Leben lang schwer krank zu machen. Mehr als 10.000 solcher Erbkrankheiten sind bekannt, bei denen ein Elternteil oder beide defekte Gene an ihre Kinder weitergeben. Nicht alle diese Leiden sind behandelbar, geschweige denn zu heilen.

Nun sind Forscher jedoch einen bedeutenden Schritt weitergekommen. Gerüchte über ihre Versuche kursierten seit Tagen - und sorgen für Kritik. Das Problem: Die Wissenschaftler haben nicht reife Körperzellen so verändert, dass sie wieder richtig funktionieren, sondern den Defekt im Embryo behoben. Bei dieser Methode sind die veränderten Gene später in allen Zellen des Körpers zu finden - auch in Ei- und Samenzellen - und werden somit an Folgegenerationen vererbt.

Die Forschung berührt damit grundlegende Fragen: Wie stark dürfen Menschen nicht nur in das Erbgut eines Einzelnen, sondern in das folgender Generationen eingreifen? Welche Formen von Erbkrankheiten und Behinderungen sind so schlimm, dass sie vor der Geburt behoben werden sollten? Und wenn man Krankheiten verhindert, kann man dann nicht Gewünschtes einschleusen? In Dystopien wie "Schöne neue Welt" führen solche Manipulationen in eine Schreckensgesellschaft.

Was haben die Forscher genau gemacht?

Ziel der Wissenschaftler um Shoukhrat Mitalipov von der Oregon Health & Science University in Portland war es, eine sogenannte hypertrophe Kardiomyopathie zu verhindern. Dabei wächst der Herzmuskel an einer Seite dicker, sodass er das Blut nicht mehr so effizient in den Kreislauf pumpen kann. Im Durchschnitt ist eine von 500 Personen von der Erbkrankheit betroffen. Patienten haben unter anderem ein erhöhtes Risiko für einen plötzlichen Herztod.

Ursache für die Krankheit können Veränderungen in verschiedenen Genen sein. Die Forscher konzentrierten sich auf eine Mutation im sogenannten MYBPC3-Gen, wie sie im Fachmagazins "Nature"  berichten. Es ist daran beteiligt, die Struktur des Herzmuskels und seine Kontraktion zu steuern.

Die Forscher befruchteten Eizellen von gesunden Spenderinnen mit dem Sperma eines Mannes, der den Gendefekt trug. Gleichzeitig schleusten sie die Genschere CRISPR-Cas9 ein. Diese sollte den fehlerhaften Genabschnitt bei Embryonen entfernen, die ihn vom Vater geerbt hatten. Anschließend füllten die Zellen die Schnittstelle mit einer funktionierenden Variante. Als Vorlage diente das gesunde Gen der Mutter. Damit war der Defekt behoben.

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CRISPR: Eingriff in die Keimbahn

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Kann man Erbkrankheiten jetzt heilen?

Ziel des Experiments war es allerdings noch nicht, eine Therapie zu entwickeln. Die Embryonen ließen die Forscher deshalb auch nur bis zu einem frühen Stadium wachsen, in dem sie aus ein paar Dutzend Zellen bestehen. Sie wollten so die Sicherheit der Methode überprüfen.

Bislang wurden erst drei vergleichbare Arbeiten publiziert. Der erste Versuch der Art fand 2015 in China statt. Damals mussten die Forscher ihr Experiment allerdings abbrechen, weil es zu viele ungeplante Genveränderungen gab. Diese könnten fatale Folgen haben - etwa, dass der Embryo stirbt, später Krebs, andere Erkrankungen oder Fehlbildungen entwickelt.

Der aktuelle Versuch weckt neue Hoffnung: Knapp zwei Drittel der Embryonen trugen nach der Behandlung zwei gesunde Kopien des MYBPC3-Gens in ihrem Erbgut. Mutationen an der falschen Stelle konnten die Forscher nicht finden. Auch sogenannte Mosaike hatten sie verhindert. Mosaik bedeutet, dass einige Zellen verändert wurden, andere aber nicht. Trotzdem bleiben Unsicherheiten.

Gewundert haben sich die Forscher etwa darüber, dass die Embryonen meist die DNA der Mutter als Vorlage für die Genreparatur verwendet haben. Eigentlich sollte ein mit in die Zelle eingeschleuster DNA-Abschnitt die Bauanleitung liefern. Für das Ergebnis war das im aktuellen Fall unwichtig. Allerdings bleibt unklar, ob die Technik immer noch so zuverlässig funktionieren würde, wenn der Gendefekt mütterliche und väterliche DNA betrifft - und nur die fremde Vorlage als Flickanleitung zur Verfügung steht.

Was spricht gegen den Einsatz der Technik?

"Weitere Studien müssen zeigen, dass die Methode sicher ist, bevor sie tatsächlich zur Behandlung von Erbkrankheiten eingesetzt werden kann", schreiben Nerges Winblad und Fredrik Lanner vom Karolinska Institut in Stockholm in einem Begleitartikel in "Nature" . Kritiker halten diesen Nachweis allerdings für unmöglich, weil man vorab schwer sagen kann, wie es künftigen Generationen mit dem manipulierten Gen gehen würde.

Peter Dabrock, Vorsitzender des Deutschen Ethikrats, würde sich daher wünschen, dass die Vereinten Nationen Genveränderungen an Embryonen verbieten, solange Gesundheitsrisiken für folgende Generationen nicht ausgeschlossen werden können. "Viel Zeit bleibt weder für gesellschaftliche Diskurse noch politisches Handeln, bis ehrgeizige Wissenschaftler unverantwortliche Fakten gesetzt haben", sagt er.

Auch gibt es Zweifel am Nutzen der Versuche. Da ohnehin eine künstliche Befruchtung nötig ist und die Embryonen anschließend auf genetische Defekte überprüft werden, könne man fehlerhafte Exemplare vorab aussortieren - wie es bei einigen Krankheiten bereits üblich ist, argumentieren Gegner der Technik.

Mitalipov und Kollegen halten dagegen, mit ihrer Methode ließe sich die Zahl der brauchbaren Embryonen nach einer künstlichen Befruchtung erhöhen. Das könnte manchen Frauen eine zweite Hormonbehandlung ersparen, falls beim ersten Versuch nicht genug gesunde Embryonen entstehen. Reicht das aus, um den schwerwiegenden Eingriff in die Keimbahn zu rechtfertigen?

"Es kommt immer auf den konkreten Fall an", sagt Barbara Prainsack, Mitglied der Ethikgruppe der britischen DNA-Datenbank. Sie ist weniger kritisch als Dabrock. Die aktuelle Studie sei ein "forschungsethisch gut beratenes Projekt" gewesen, in dem versucht wurde, eine schwere vererbbare Krankheit zu vermeiden. Welche Regeln es dafür in Zukunft geben sollte, müssten Experten unterschiedlicher Fachrichtungen mit Patienten und anderen Bürgern aushandeln. In Deutschland sind gentechnische Veränderungen an menschlichen Embryonen bislang verboten.